Neues zum Datenschutzrecht
28.7.2020
BGH: Zwei Entscheidungen über „Anspruch auf Auslistung“ gegen Google
Hintergrund
Das sog. Recht auf Auslistung gegenüber Suchmaschinenbetreibern wird seit einem EuGH-Urteil aus dem Jahr 2014 (Az. C-131/12) größtenteils unter dem Terminus „Recht auf Vergessenwerden“ erörtert, obwohl der EuGH – anders als der Generalanwalt – dieses Recht in dieser und auch weiteren Entscheidungen so nie bezeichnet hat.
Das „Recht auf Auslistung“ gewährt betroffenen Personen gegenüber Suchmaschinenbetreibern den Anspruch, dass Links zu Websites Dritter aus Ergebnislisten entfernt werden, die aufgrund einer Suche anhand des Namens der betroffenen Person angezeigt werden. Das „Recht auf Auslistung“ ergibt sich seit Inkrafttreten der DSGVO aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO.
Erstes Verfahren (Az. VI ZR 405/18)
In dem einen Verfahren vor dem BGH (Az. VI ZR 405/18) verlangte der Geschäftsführer eines Regionalverbandes einer Wohlfahrtsorganisation von Google, es zu unterlassen, bestimmte Presseartikel bei einer Suche nach seinem Namen in der Ergebnisliste der Google-Internetsuchmaschine anzuzeigen (sog. Auslistung). Es handelt sich um Artikel der Zeitung „Frankfurter Rundschau“ aus dem Jahr 2011. Dort wurde unter Nennung des vollen Namens des Klägers über ein finanzielles Defizit von knapp einer Million Euro des Regionalverbands und darüber berichtet, dass sich der Geschäftsführer kurz zuvor krank meldete.
Vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht hatte der Kläger keinen Erfolg. Die Revision des Klägers wurde vom sechsten Zivilsenat des BGH zurückgewiesen. Google darf in den Ergebnissen seiner Suchmaschine weiterhin die Artikel bzw. die Verlinkungen zu diesen Berichten auflisten, wenn der Name des Klägers zur Suche eingegeben wird.
Der BGH nahm eine Abwägung im Einzelfall vor. Dabei stellte er darauf ab, dass sich die Artikel mit den Schulden des Wohlfahrtverbands beschäftigten, was eine für die Öffentlichkeit wichtige Frage gewesen sei. Auf der anderen Seite werde mit Aussagen zum Gesundheitszustand des Klägers über etwas sehr Privates berichtet. Allerdings seien diese Angaben nur sehr allgemein gewesen. Rückschlüsse auf die Art der Krankheit erlauben die Informationen nicht, die außerdem auch als entlastende Umstände für die Abwesenheit zur Unzeit verstanden werden können. Schließlich sei seit den Geschehnissen und der darauf bezogenen Berichterstattung noch nicht so viel Zeit vergangen, dass das Interesse des Klägers an einer Auslistung zum Schutz seiner Privatsphäre überwiege.
Zweites Verfahren (Az. VI ZR 476/18)
Das zweite Verfahren vor dem BGH (Az. VI ZR 476/18) unterscheidet sich vom ersten Fall dahingehend, dass der Wahrheitsgehalt der in den Suchergebnissen angezeigten und verlinkten Informationen in Frage steht. Auf der Website eines US-amerikanischen Unternehmens wird kritisch über das Anlagemodell von Gesellschaften berichtet, an denen einer der Kläger beteiligt bzw. in verantwortlicher Position tätig ist. Die zweite Klägerin ist die Ehefrau des anderen Klägers und war Prokuristin einer der Gesellschaften. Einer der im Jahr 2015 erschienenen Artikel ist mit Fotos der Kläger versehen. Die Kläger machen geltend, entsprechend kritischer Berichte über das Geschäftsmodell der US-amerikanischen Betreiberin der Webseite von dieser erpresst worden zu sein. In den Berichten über das Geschäftsmodell der US-amerikanischen Betreiberin der Webseite gab unter anderem den Vorwurf, sie versuche, Unternehmen zu erpressen, indem sie zunächst negative Berichte veröffentliche und danach anbiete, gegen ein sog. Schutzgeld die Berichte zu löschen bzw. die negative Berichterstattung zu verhindern.
Die Kläger begehren von Google als der Verantwortlichen für die Internetsuchmaschine, es zu unterlassen, die genannten Artikel bei der Suche nach ihren Namen und den Namen verschiedener Gesellschaften in der Ergebnisliste nachzuweisen und die Fotos von ihnen als Vorschaubilder anzuzeigen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger blieb ohne Erfolg. Der BGH hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Zum einen soll der EuGH entscheiden, ob in Fällen, in denen das „Recht auf Auflistung“ geltend gemacht wird und der Wahrheitsgehalt von verlinkten Tatsachenbehauptungen in Frage steht, in der Abwägung auch darauf abzustellen ist, ob die betroffenen Personen in zumutbarer Weise, z.B. durch eine einstweilige Verfügung, Rechtsschutz gegen den Inhalteanbieter erlangen und damit die Frage der Wahrheit des vom Suchmaschinenverantwortlichen verlinkten Inhalts einer zumindest vorläufigen Klärung zuführen könnten.
Die zweite Vorlagefrage zielt darauf, ob der „Anspruch auf Auslistung“ auch die Verlinkung zu Vorschaubildern bei einer Namenssuche nach Fotos umfasst, wenn die Website zwar verlinkt, der Kontext der ursprünglichen Veröffentlichung in den Suchergebnissen aber nicht direkt angezeigt wird.
Fazit und Hinweise für die Praxis
Das „Recht auf Auslistung“ vermittelt betroffenen Personen keinen Anspruch, öffentlich so wahrgenommen zu werden, wie es ihren Wünschen entspricht. Vielmehr bedarf es einer Entscheidung im Einzelfall, bei der eine umfassende Abwägung vorzunehmen ist, wie sie Art. 17 Abs. 3 DSGVO vorschreibt. Privatsphäre bzw. das Recht auf Datenschutz geht nicht automatisch vor. Die Interessen von allen Seiten müssen abgewogen werden, was neben dem Grundrecht auf Datenschutz der betroffenen Personen und den Rechten und Interessen der Suchmaschinenbetreiber auch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit einschließt. Mit zunehmendem Zeitablauf können die Interessen der betroffenen Personen überwiegen. Weitere Details werden vermutlich noch der Urteilsbegründung zu entnehmen sein, die bislang nicht vorliegt.
Problematisch wird es, wenn der Wahrheitsgehalt in Frage steht. In dieser Konstellation ist zu klären, welche Anstrengungen betroffene Personen vor Inanspruchnahme des „Rechts auf Auslistung“ unternehmen müssen, um gegen den nach Ihrer Ansicht nicht wahrheitsgemäßen Inhalt vorzugehen. Das muss nun der EuGH entscheiden.
Schließlich möchte ich an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass es sich beim sog. Recht auf Auslistung nicht um das Recht auf Vergessenwerden handelt, wie es der Gesetzgeber in Art. 17 Abs. 2 DSGVO verankert hat. Leider werden die Begriffe nicht eindeutig verwendet und auch der BGH spricht zumindest in der Überschrift seiner Pressemitteilung in Klammern vom Recht auf Vergessenwerden, das an sich in Art. 17 Abs. 2 DSGVO geregelt ist. Diese Vorschrift enthält lediglich eine spezielle Informationspflicht des Verantwortlichen, der personenbezogene Daten z.B. auf einer Website öffentlich gemacht hat, zu deren Löschung er verpflichtet ist. Der Verantwortliche muss Dritte wie z.B. Suchmaschinenbetreiber informieren, dass eine betroffene Person von ihnen die Löschung aller Links zu diesen Daten oder von Kopien oder Replikationen verlangt hat. Diese spezielle Informationspflicht korrespondiert mit dem entsprechenden Recht der betroffenen Person, dem mit Blick auf Erwägungsgrund 66 DSGVO zumindest auch der Terminus „Recht auf Vergessenwerden“ zugeordnet werden kann. Der Anspruch auf Information der Dritten, den das Recht auf Vergessenwerden gem. Art. 17 Abs. 2 DSGVO gewährt, kann nur gegen den Verantwortlichen geltend gemacht werden, gegen den ein Anspruch auf Löschung personenbezogener Daten besteht, die der Verantwortliche öffentlich gemacht hat. Das bedeutet, es handelt sich um eine Pflicht, die in der Praxis jeden Verantwortlichen treffen kann. Dagegen hat der Anspruch, den das sog. Recht auf Auslistung gewährt, die Entfernung der Links zum Gegenstand und muss von der betroffenen Person gegen Suchmaschinenbetreiber geltend gemacht werden.
Sollten Sie Fragen zum „Recht auf Auslistung“ und zum Recht auf Vergessenwerden oder zu sonstigen datenschutzrechtlichen Themen haben oder dabei Unterstützung benötigen, können Sie mich gerne kontaktieren.
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