Neues zum Datenschutzrecht
8.9.2023
BVerwG: Regelung zur Vorratsdatenspeicherung rechtswidrig
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat am 14. August 2023 entschieden, dass die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 176 TKG – zuvor in § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG a.F. – geregelte Verpflichtung der Anbieter öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste zur Speicherung der dort genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten mit Art. 15 Abs. 1 der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (Richtlinie 2002/58/EG) „in vollem Umfang“ unvereinbar und daher nicht anwendbar ist. Das geht aus einer Pressemitteilung des BVerwG v. 7.9.2023 hervor.
Hintergrund und Verfahrensgang
Das BVerwG hatte in zwei Verfahren darüber zu entscheiden, ob die der klagenden SpaceNet AG und Telekom Deutschland GmbH auferlegte Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung rechtmäßig ist. In diesem Rahmen hatte das BVerwG zwei Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet (Az. 6 C 12.18 und Az. 6 C 13.18) da das Gericht vom EuGH wissen wollte, ob die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung in §§ 113a ff. TKG a.F. mit EU-Recht vereinbar ist und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Umstände, dass unter anderem
- die Pflicht zur Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten keinen spezifischen Anlass in örtlicher, zeitlicher oder räumlicher Hinsicht voraussetzt, aber
- nur bestimmte Datenarten betrifft und
- die Speicherdauer lediglich zehn bzw. für Standortdaten vier Wochen beträgt.
Exkurs: Eine kurze Geschichte der deutschen Regelung der Vorratsdatenspeicherung
Die Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung wurde in Deutschland im Jahr 2015 in §§ 113a ff. TKG (a.F.) neu geregelt, nachdem das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08 und 1 BvR 586/08) die früheren Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt hatte und der EuGH (Rechtssache C-293/12) die Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsdatenspeicherung für ungültig erklärt hat. Allerdings wurde vor dem Hintergrund der gerichtlichen Klärung die Durchsetzung der Vorratsdatenspeicherung auf Basis der Neuregelung von der Bundesnetzagentur ausgesetzt. Schließlich sind die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung in §§ 113a ff. TKG a.F. aufgrund der Neufassung des TKG zum 1.12.2021 durch das Telekommunikationsmodernisierungsgesetz (TKMoG) v. 23.6.2021 nunmehr in §§ 175 ff. TKG verortet. - Exkurs Ende 😊
Vorabentscheidung des EuGH
Der EuGH hatte mit Urteil vom 20.9.2022 (C‑793/19 und C‑794/19) entschieden, dass die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung gem. §§ 113a ff. Telekommunikationsgesetz a.F. (nunmehr §§ 175 ff. TKG) nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Das Gericht bestätigt seine bisherige Rechtsprechung, dass das Unionsrecht einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten entgegensteht. Eine solche Speicherung ist nur zulässig, wenn eine als real und aktuell oder vorhersehbar einzustufende ernste Bedrohung für die nationale Sicherheit vorliegt. Für einen darüberhinausgehenden Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit dürfen die EU-Mitgliedstaaten lediglich unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine gezielte Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten sowie eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von IP-Adressen vorsehen.
Über diese EuGH-Entscheidung und das zuvor vom Generalanwalt geäußerte Unverständnis, dass mit solchen Vorabentscheidungsersuchen bzw. den zugrunde liegenden gesetzlichen Regelungen der EU-Mitgliedstaaten „die ständige Rechtsprechung zu Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 erneut in Frage gestellt wird“, hatte ich in den Datenschutz-News v. 23.9.2022 berichtet. Eine ausführliche Besprechung finden Sie auch in der Zeitschrift Kommunikation & Recht (K&R) 2022, S. 815 ff. mit meinem Aufsatz „Rechtmäßige Vorratsdatenspeicherung, aber wie?“ der dfV Mediengruppe.
Entscheidungen des BVerwG
Das BVerwG hat in seinem zwei Urteilen v. 14.8.2023 (Az. 6 C 6.22 und 7 C 6.22) die Revision der Bundesregierung Deutschland (vertreten durch die Bundesnetzagentur) zurückgewiesen und dabei die auf § 113a Abs. 1 i.V.m. § 113b TKG a.F. bezogenen Feststellungsaussprüche des Verwaltungsgerichts an die nunmehr geltenden Vorschriften in § 175 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 176 TKG angepasst.
Die TKG-Regelungen genügen nicht den unionsrechtlichen Anforderungen, weil keine objektiven Kriterien bestimmt werden, die einen Zusammenhang zwischen den zu speichernden Daten und dem verfolgten Ziel herstellen. Da die Vorratsspeicherung der genannten Daten und der Zugang zu ihnen unterschiedliche Eingriffe in die betroffenen Grundrechte darstellen, die eine gesonderte Rechtfertigung erfordern, ist die Begrenzung der Verwendungszwecke in § 177 Abs. 1 TKG (§ 113 c Abs. 1 TKG a.F.) von vornherein nicht geeignet, die unionsrechtliche Anforderung klarer und präziser Regeln für die vorgelagerte Maßnahme der Speicherung der Daten zu erfüllen.
Soweit die gesetzliche Regelung die Erbringung von Telefondiensten und in diesem Zusammenhang insbesondere die Daten betrifft, die erforderlich sind, um die Quelle und den Adressaten einer Nachricht, Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Verbindung oder - im Fall der Übermittlung von Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachrichten - die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs der Nachricht sowie, im Fall der mobilen Nutzung, die Bezeichnung der Funkzellen, die vom Anrufer und vom Angerufenen bei Beginn der Verbindung genutzt wurden, zu identifizieren, fehlt es außerdem an der vom EuGH geforderten strikten Begrenzung der allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten auf den Zweck des Schutzes der nationalen Sicherheit.
Soweit sich die Pflicht zur allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung auf die Bereitstellung von Internetzugangsdiensten und in diesem Rahmen u.a. auf die dem Teilnehmer zugewiesene IP-Adresse bezieht, umfassen die unionsrechtlich zulässigen Zwecke nach der Entscheidung des EuGH zwar auch die Bekämpfung schwerer Kriminalität und die Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit. Eine entsprechende Beschränkung der Speicherungszwecke sieht die Regelung im Telekommunikationsgesetz jedoch nicht vor. Die für die Ermittlung der Speicherzwecke maßgebliche Regelung der Verwendungszwecke im Rahmen einer Bestandsdatenauskunft geht deutlich über den unionsrechtlichen Rahmen hinaus. Dies gilt nicht nur für die frühere Rechtslage nach § 113 c Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 3 TKG a.F., sondern auch für die nunmehr geltende Regelung in § 177 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 174 Abs. 1 Satz 3 TKG.
Die Entscheidungsgründe der beiden Entscheidungen v. 14.8.2023 (Az. 6 C 6.22 und 7 C 6.22) sind bislang noch nicht veröffentlicht. Die vorstehenden Ausführungen basieren auf der Pressemitteilung des BVerwG v. 7.9.2023.
Fazit
Das BVerwG ist unter Berücksichtigung der Vorabentscheidung des EuGH zu der Einschätzung gelangt, dass die TKG-Regelung eine anlasslose, flächendeckende und personell, zeitlich und geografisch undifferenzierte Vorratsspeicherung eines Großteils der Verkehrs- und Standortdaten vorschreibt, wie sie nach – mittlerweile ständiger – Rechtsprechung des EuGH nicht zulässig ist. Die TKG-Regelungen dürfen nicht (mehr) angewendet werden, da eine unionsrechtskonforme Auslegung wegen des vom EuGH hervorgehobenen Grundsatzes der Bestimmtheit und Normenklarheit nicht möglich ist.
Die Entscheidungen des BVerwG kamen nicht überraschend, denn das EuGH-Urteil war klar und eindeutig: Die Regelung in §§ 113a ff. TKG a.F. – nunmehr in §§ 175 ff. TKG – steht im Widerspruch zu der bereits ergangenen EuGH-Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung. Dieses Ergebnis wurde überwiegend erwartet und ließ sich bereits 2020 einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages (WD) zu den Auswirkungen der bis dahin ergangenen EuGH-Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung auf die Tätigkeit der Geheimdienste (Az. WD 3 – 3000 – 240/20) entnehmen.
Der EuGH hat aber auch bereits mehrfach aufgezeigt, zu welchen Zwecken und unter welchen Voraussetzungen bestimmte Formen einer Vorratsdatenspeicherung zulässig sind. Ob die vom EuGH aufgezeigten Begrenzungen vom deutschen Gesetzgeber nunmehr aufgegriffen werden, um die Regelung der Vorratsdatenspeicherung in §§ 175 ff. TKG entsprechend anzupassen oder die Vorratsdatenspeicherung gänzlich fallen zu lassen und eine lediglich nachträgliche kurze Speicherung aus Anlass einer Straftat zu erlauben, wird die bereits laufende politische und rechtliche Diskussion zeigen (vgl. nur die Position des Bundesministeriums der Justiz, das für ein „Quick-Freeze-Verfahren“ plädiert). Allerdings sind angesichts des bisherigen Verlaufs keine schnellen Ergebnisse zu erwarten.
Sollten Sie Fragen zur Vorratsdatenspeicherung oder zu sonstigen datenschutzrechtlichen Themen haben oder dabei Unterstützung benötigen, können Sie mich gerne kontaktieren.
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